Einleitung
zum Verständnis
Das
Bücherangebot zum Thema Tarot ist eigentlich sehr umfassend, aber beim Studium
des Tarot mußte ich feststellen, daß meist eine exoterische, d.h. auf der äußeren
Welt beruhende Deutung bevorzugt wird. Mir geht es im vorliegendem Buch jedoch
um das tiefere Verständnis des Tarot in esoterischer Hinsicht. Lassen Sie mich
den Unterschied zwischen den jeweiligen Sichtweisen erklären: Die exoterische
Deutung sieht in der gezogenen Karte ein äußeres Ereignis, eine Situation in
der äußeren Welt oder auch eine Person im äußeren Leben des Fragenden. Die
esoterische Deutung jedoch beruht darauf, in der Karte einen inneren
Persönlichkeitsaspekt oder ein internes Muster zu sehen. Die Karte repräsentiert
aus dieser Sichtweise heraus den zu berücksichtigenden Aspekt der Persönlichkeit
oder den momentanen inneren, psychischen Zustand im Bezug zu der gestellten
Frage bzw. der Position der Karte innerhalb der Legung. Bei den hohen Arkana
sind viele der Karten zudem allegorische Bilder, die einen Prozeß oder ein
Prinzip darstellen.
Natürlich ist es möglich, daß ein äußeres Ereignis möglicherweise eintreffen kann,
wenn der Aspekt der Karte aufgrund von Unbewußtheit oder Ablehnung von
Verantwortung in die Umwelt projiziert wird, und somit von außen auferlegt
scheint, da der Betreffende das Thema der Karte nicht in seinem Inneren sucht
und bearbeitet. Unabhängig davon, ob das Thema unbewußt oder bewußt
behandelt wird, geht die esoterische Sicht davon aus, daß jedwedes Denken schöpferisch
wirkt und damit das Innere in der Außenwelt erschafft oder im Rahmen des
Resonanzgesetzes anzieht. Eine Legung sollte daher immer Hilfe zur Bewußtwerdung
des eigenen Denkens sein, um die Prinzipien an die Oberfläche zu bringen, die
zur Manifestation der eigenen, persönlichen Realität führen.
Die im Verlauf des Buches erwähnten geistigen Gesetze, wie beispielsweise das
Resonanzgesetz, möchte ich als natürliche Gesetzmäßigkeiten verstanden
wissen. Obwohl es sich dabei um Abläufe handelt, bei denen Bewußtsein und
Quantenphysik interagieren, so ist es doch wichtig zu verstehen, daß auch
dieser Bereich ein Teil des materiellen Universums ist. Weiterhin ist es
die Überzeugung des Autors, daß die durch die Karten vermittelten
Erkenntnisse nicht von externen Wesenheiten (Gott, Engel o.ä.) stammen,
sondern das Tarot lediglich als Medium für den Zugriff auf das Unterbewußtsein
fungiert. Wenn ich innerhalb des Buches die Bezeichnung „das Göttliche“ in
Anführungszeichen oder in Klammern verwende, dann geschieht dies nur zum
besseren Verständnis für diejenigen Leser, die eine religiöse Auffassung der
Natur und des Universums haben.
Karte
II –
Die
HOHEPRIESTERIN (The HIGH PRIESTESS)
Allgemeine
Bedeutung: Balance von Intuition/Empathie und Intellekt
Schatten:
Ich-Auflösung
Archetypus:
Die weise Frau
Höheres
Ziel: geistige Fruchtbarkeit
Astrologische
Zuordnung: (Neptun-)Mond / Wasser
Die
Hohepriesterin sitzt, oder besser: thront gleich in zweifacher Weise in der
Mitte zwischen zwei Polen, einerseits zwischen den beiden Säulen Boas
und Jachin (entspricht dem Prinzip
von Yin und Yang), und andererseits wird die Karte auf der vertikalen Ebene
exakt in den oben gelegenen Himmel und den darunter befindlichen Ozean geteilt.
Auch die Darstellung und Kleidung der Hohepriesterin unterstützt diese polare
Darstellung. Ihr blaues Gewand wirkt im oberen Bereich luftig wie der Himmel
hinter ihr, und der untere Teil zerfließt wie Wasser, während ihr die
Mondsichel des zunehmenden Mondes zu Füßen liegt. Die astrologische Zuordnung
entspricht einem neptunischen Mond, der anzeigt, daß sie einen intuitiven
Zugang zum Ozean des Unterbewußtseins hat. Die Krone auf ihrem Kopf stellt
sowohl die drei Mondphasen dar, als auch die drei Phasen des Weiblichen: Die
Jungfrau, die Mutter und die weise Frau, die sie alle durchlaufen und erfahren
hat, und damit auch den Archetypus der weisen Frau darstellt, woraus sich der
Gegenpol zum Neptun-Mond und die Hauptaufgabe der Karte ergibt, nämlich das
intuitiv Wahrgenommene auch mit dem Intellekt, der Weisheit und der Erfahrung
verstehen und begründen zu können.
Die Hohepriesterin weiß um die geistigen Gesetze, wie die Rolle der Tora anzeigt,
die sie (beinahe wie ein Kind) auf dem Schoß hat.
Die ursprünglichen Säulen Boas und Jachin waren am Eingang des
Tempels von Jerusalem positioniert und mit Granatäpfeln verziert, die als
Symbol der Fruchtbarkeit galten. Auf der Karte der Hohepriesterin wurde diese
Symbolik von den Säulen auf den hinter ihr befindlichen Vorhang übertragen,
der beide Säulen verbindet, um darauf hinzuweisen, daß die ausbalancierte
Kombination von Intuition und Intellekt zu „fruchtbaren“ Ergebnissen führt,
wobei in diesem Fall keine biologische, sondern geistige Fruchtbarkeit gemeint
ist. Der obere Teil beider Säulen ist wie eine Lotusblüte gearbeitet, die in
Ägypten in Anlehnung an die Geburt des jungen Sonnengottes als Symbol von Schöpfung
und Wiedergeburt galt.
Es existiert die Ansicht, daß die Krone der Hohepriesterin nicht die Mondphasen
darstellt, sondern die Sonnenkrone der ägyptischen Göttin Hathor (die erst später
mit Isis verschmolz), was jedoch an der Gesamtbedeutung nichts ändern würde,
denn die symbolische Sonne auf ihrem Kopf wäre nur ein weiteres Zeichen für
geistige Schöpfung und Fruchtbarkeit.
Die Hohepriesterin ist außerdem in der Lage, Emotionen von anderen empathisch zu
erspüren und wahrzunehmen. Doch um die Quelle der Gefühle definieren zu können,
die sie wahrnimmt, und unterscheiden zu können, ob diese Gefühle ihre eigenen
oder fremde sind, mußte sie auf ihrem Entwicklungsweg beide Pole durchleben
und erforschen. Sie mußte die Gegensätze Ich und Du unterscheiden lernen und
eine stabile, ausgeglichene Persönlichkeit entwickeln. Diese Stabilität wird
auf der Karte durch den steinernen Kubus angedeutet, auf dem sie sitzt.
Karte
XV – Der TEUFEL (The DEVIL)
Allgemeine
Bedeutung: Selbstbegrenzung, Unfreiheit
Schatten: Unbewußtheit, Projektion des Unbewußten, Opferdenken
Archetypus: Die dunkle Seite
Höheres Ziel: Integration des Schatten, bewußte Selbstbestimmung
Astrologische Zuordnung: Saturn / Erde
Die
Karte zeigt die beiden Menschen, die wir schon auf der Karte der Liebenden
gesehen haben, nur daß sie in diesem Fall an einen schwarzen Stein gekettet
sind, auf dem der Teufel in furchterregender und grotesker Gestalt sitzt.
Der Teufel gilt seit seiner Erfindung durch die mittelalterliche Kirche als
Vertreter des Dunklen und Bösen, der niederen Triebe und der Verführung. Doch
der Teufel ist lediglich ein archetypisches Bild für die Anteile des Menschen,
die gerne ins eigene Unterbewußtsein verdrängt und in Folge auf externe
Feindbilder projiziert werden, weil die eigene „dunkle“ Seite als „böse“
oder „negativ“ empfunden wird. Die Mythologie kennt viele Geschichten über
den „Teufel“ in seinen verschiedenen Formen und Interpretationen. Satan in
Form der Schlange verführt Eva im Alten Testament der Bibel zum Biß in den
Apfel vom Baum der Erkenntnis. In der griechischen Mythologie ist es
Prometheus, der den Menschen das Feuer (der Erkenntnis) bringt, und auch das
Wort „Luzifer“, der Name des höchsten Engels, der gegen Gott rebellierte,
weil er nicht dienen, sondern selbstbestimmt leben wollte, bedeutet
„Lichtbringer“. Interessanterweise ist in allen diesen Fällen die als „böse“
bezeichnete Figur jedesmal diejenige, die den Menschen Wissen, Erkenntnis und
den Wunsch nach Selbstbestimmung bringt, während der „gute“ Gott sie
lieber in Unwissenheit und Abhängigkeit halten möchte. Doch ohne Erkenntnis
und der daraus resultierenden Freiheit, selbst über ihr Leben zu bestimmen,
sind die Menschen lediglich geistige Zombies und Gefangene ihres eigenen
unfreien Bewußtseins.
Der Teufel, der im judäo-christlichen Denken für Fremdbestimmung, Abhängigkeit
und Unterdrückung steht, repräsentiert also ganz im Gegenteil die dunkle
(meist unbewußte) Seite des Menschen, die ihn überhaupt zu einem freien
Menschen macht, wenn diese Seite ohne Angst betrachtet, angenommen und
integriert wird. Wenn wir genau hinsehen, erkennen wir, daß die beiden
Menschen nicht den Versuch machen, sich vom Teufel zu entfernen und auch ihre
Ketten nur locker um ihren Hals gelegt sind. Das bedeutet, daß Abhängigkeit
und Fremdbestimmung entweder selbst gewählt sind oder aus Unbewußtheit
resultieren, wodurch die Hauptaufgabe der Karte klar wird, nämlich die Beschäftigung
mit der eigenen „dunklen“ Seite und deren Akzeptanz und Integration sowohl
in die Persönlichkeit, als auch ins Leben, um sich selbst vollständig zu (er)kennen
und damit echte Freiheit zu erlangen.
Ebenso wie die tierhaften Attribute des Teufels die animalische Seite des Menschen
repräsentieren, weisen uns auch die Hörner auf den Köpfen der beiden
Personen, sowie die Flammen (Leidenschaft) und die Trauben (Fruchtbarkeit) am
jeweiligen Schweif der beiden darauf hin, daß wir unsere „niederen“ Triebe
und Leidenschaften (symbolisch durch die Flamme des Teufels angefacht) nicht
unterdrücken, sondern ausleben sollen. Nicht umsonst lautet das Hauptdiktum
der Philosophie des Satanismus „Hingabe, statt Abstinenz“ (Eine ausführliche
Erklärung dieser Religion und Philosophie findet sich in meinem Buch Die
Philosophie des Satanismus).
Wie die steinbockähnlichen Hörner des Teufels zeigen, ist die astrologische
Zuordnung der Saturn, der Herrscher des Steinbocks, der in seiner negativen,
weil einseitigen Auslebung das Bewußtsein, die
Freiheit, die Sexualität und
die persönliche Macht begrenzt und einengt. Die Transformation des Saturns
entspricht der Befreiung aus der dualen Sichtweise von „Gut“ und „Böse“
und den Weg in die selbstbestimmte Auslebung der eigenen Persönlichkeit nach
den eigenen Maßstäben, ohne Einschränkung durch künstliche moralische
Konzepte.
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